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Nahrungsergänzungsmittel endlich besser regulieren

Stand:
Die gesetzlichen Regelungen für Nahrungsergänzungsmittel und insbesondere die Kontrollen im Internethandel sind für den gesundheitlichen Verbraucherschutz nicht ausreichend. Eine Bundesregierung darf sich nicht auf die EU verlassen, sondern muss selber Verantwortung übernehmen.
Grafik, die den Umriss der Bundesrepublik Deutschland zeigt sowie einen Kreis mit einem Kreuz und dem Wort Bundestagswahl

Das Wichtigste in Kürze:

  • Verbraucher:innen sind nicht ausreichend vor unsicheren und unwirksamen Nahrungsergänzungsmitteln geschützt.
  • vzbv und Verbraucherzentralen fordern altersabhängige Höchstmengen für Vitamine und Mineralstoffe und eine Positivliste für andere Stoffe als Vitamine und Mineralstoffe in Nahrungsergänzungsmitteln.
  • Die vom Bundesinstitut für Risikobewertung vorgeschlagenen Warnhinweise für einzelne Zutaten und Nährstoffe sollten verpflichtend werden.
  • Wirksamere Kontrollen des Internethandels sind lange überfällig.
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Superfood fürs Immunsystem, Vitamin D als Grippeschutz, Ginkgo gegen Konzentrationsstörungen, Mineralstoffe für die Schönheit von innen - glaubt man Werbeaussagen, können Nahrungsergänzungsmittel (NEM) wahre Wunder bewirken. Doch oft ist die versprochene Wirkung der Produkte nicht nachgewiesen. Hoch dosiert oder mehrere Produkte mit gleichem Nährstoff können ernste Nebenwirkungen haben.

Bereits vor der Bundestagswahl 2021 gab es einen im Bundestag beschlossenen Antrag der damaligen Koalitionsfraktionen (CDU/SPD) zum besseren Verbraucherschutz bei Nahrungsergänzungsmitteln. Schon diesen hatten die Verbraucherzentralen als unzureichend für den Schutz von Verbraucher:innen vor potenziell gesundheitsgefährdenden und unwirksamen Nahrungsergänzungsmitteln kritisiert. Was wurde seit dem geändert?

Bilanz 2024/2025

Mit der aktuellen Bundesregierung ist zwar auf EU-Ebene einiges angeschoben worden, bessere Regelungen sind aber immer noch Fehlanzeige. Währenddessen ist die Zahl von Neuanzeigen von Nahrungsergänzungsmitteln beim zuständigen Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit geradezu explodiert. Gleichzeitig haben wir bis zu 80 % Beanstandungen bei Nahrungsergänzungsmitteln - wenn denn von den ohnehin überlasteten Lebensmittelüberwachungsbehörden überhaupt vor Ort kontrolliert wird. Die Kontrolle des Internethandels funktioniert im Prinzip gar nicht, durch die riesige Zahl von Päckchen ist der Zoll völlig überfordert. 2023 hat er nach eigenen Angaben über 413 Millionen Warensendungen und Pakete abgefertigt. Da sind immer nur Stichproben möglich.  Die Aussage des Präsidenten des Bundesamtes für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) Friedel Cramer vom 24. März 2022 „zur Durchsetzung des gesundheitlichen Verbraucherschutzes im Onlinehandel fehlen noch immer notwendige Regelungen und Instrumente“ gilt heute mehr denn je, denn inzwischen wird zusätzlich sehr viel über die Sozialen Medien und durch Influencer beworben und vertrieben. Die Aussage auf der BVL-Jahrespressekonferenz am 5. Dezember 2024 spricht Bände: "Falschinformationen und Halbwahrheiten über Lebensmittel und Bedarfsgegenstände in den Sozialen Medien können Gesundheit von Verbraucherinnen und Verbrauchern gefährden. Bestes Mittel gegen solche Desinformation: seriöse Berichterstattung, fachlich fundierte, wissenschaftlich abgesicherte Informationen." Das kommt einer Bankrotterklärung der Lebensmittelüberwachung nahe. Damit wird denjenigen, die gegen geltende Gesetze verstoßen, fast schon ein Freibrief ausgestellt, die Schuld auf sich mangelhaft informierende Verbraucher:innen abgeladen. So geht das nicht! Tatsächlich wünschten sich 95 % der Befragten einer repräsentativen forsa-Befragung zu Nahrungsergänzungsmitteln im Oktober 2024, dass Nahrungsergänzungsmittel auf Sicherheit geprüft werden, bevor sie auf den Markt kommen. Dann wären viele der Probleme auf einen Schlag gelöst.

Für einen besseren gesundheitlichen Verbraucherschutz muss das lukrative Geschäft mit den Nahrungsergänzungsmitteln endlich reguliert werden:

Einführung eines Zulassungsverfahrens für Nahrungsergänzungsmittel im europäischen Binnenmarkt

Bis die notwendige europaweite Regelung erfolgt ist, muss auf nationaler Ebene ein zentrales behördliches Zulassungsverfahren für NEM eingeführt werden, mit dem die Sicherheit der NEM sowie die korrekte Kennzeichnung und Richtigkeit der Werbeaussagen geprüft werden. Die bisherige bloße Anzeigepflicht (gemäß § 5 NemV) beim BVL ist nicht ausreichend. 

Höchstmengen für Vitamine und Mineralstoffe nicht weiter verschleppen

Gesetzliche Höchstmengen für Vitamine und Mineralstoffe stehen auch mehr als 20 Jahre nach Einführung der EU-Richtlinie über Nahrungsergänzungsmittel weiterhin aus. Um den gesundheitlichen Verbraucherschutz zu gewährleisten, muss die Europäische Kommission europaweit einheitliche Höchstmengen für Vitamine und Mineralstoffe in NEM festlegen. Sollte sich die auf EU-Ebene angekündigte Regelung weiter verzögern, muss die Bundesregierung auf nationaler Ebene rechtsverbindliche Höchstmengen festlegen, wie es andere EU-Mitgliedsstaaten bereits getan haben. Grundlage für eine nationale Regelung könnten die 2024 vom BfR aktualisierten Empfehlungen für Höchstmengen von Vitaminen und Mineralstoffen in NEM bilden.

Für die vulnerable Gruppe der Kinder müssen separate Höchstmengen, differenziert nach Altersgruppen, festgelegt werden. Maßstab muss die jeweils jüngste Zielgruppe sein, zum Beispiel bei Produkten, die sich an die ganze Familie richten. Für die Stoffe, für die keine Höchstmengenempfehlung auf Basis einer Risikobewertung vorliegt, sollten die Referenzwerte für die Nährstoffzufuhr nicht überschritten werden. Es bedarf zudem einer Klarstellung, dass NEM für Säuglinge und Kleinkinder nicht geeignet sind.

Positivliste für andere Stoffe als Vitamine und Mineralstoffe

Jedes Jahr kommen zahlreiche neue Stoffe auf den Markt, wie Pflanzenextrakte, die Nahrungsergänzungsmitteln zugesetzt werden. Ihre Wirksamkeit ist oftmals nicht belegt. Für sie gibt es keine Qualitätsstandards. Verbraucher:innen geben hier nicht nur Geld für leere Versprechen aus. Manche Produkte können auch ernsthafte Neben- und Wechselwirkungen verursachen. Die vom Bundesinstitut für Risikobewertung vorgeschlagenen Warnhinweise für einzelne Stoffe sollten verpflichtend werden.

Die Verbraucherzentralen fordern vom europäischen Gesetzgeber, dass alle Stoffe, die NEM zugesetzt werden, über Positivlisten zugelassen werden müssen. Bisher sind lediglich Vitamine und Mineralstoffe entsprechend geregelt. In dieser rechtsverbindlichen Positivliste müssen die Definitionen, Reinheitsanforderungen, Qualitätsstandards und zulässige Mengen der jeweiligen Stoffe festlegt werden. Wenn diese Regelungslücke nicht in absehbarer Zeit auf EU-Ebene geschlossen wird, muss die Bundesregierung zügig eine nationale, rechtsverbindliche Regelung erlassen – beispielsweise auf Basis der Stofflisten des BVL und der Länder.

Außerdem sollte die Europäische Kommission für eine zeitnahe gesetzliche Regelung für die beantragten gesundheitsbezogenen Angaben (On-hold-Claims) für pflanzliche Stoffe (Botanicals) und deren Zubereitungen zu sorgen.

Einrichtung eines Nutrivigilanz-Systems

Die Verbraucherzentralen und der vzbv fordern die Bundesregierung auf, auf nationaler Ebene eine Meldestelle für die systematische Erfassung von Neben- und Wechselwirkungen von Nahrungsergänzungsmitteln einzurichten. Sie fordern die zuständigen Berufsverbände auf, mehr Aufklärungsarbeit sowohl bei Patient:innen als auch bei Ärzt:innen und in den Gesundheitsberufen hinsichtlich Wechselwirkungen zwischen NEM und Medikamenten zu leisten und konsequent bei Behandlungen nach der Verwendung von NEM zu fragen, um gesundheitliche Risiken zu minimieren.

Die Forderungen der Verbraucherzentralen im Detail: Nahrungsergänzungsmittel sicher regulieren
 

Quellen:


Onlinehandel braucht neue Regelungen. BVL-Cramer plädiert: EU-Referenzzentrum für eCommerce Kontrolle schaffen. BVL-Pressemitteilung vom 24.03.2022 (zuletzt abgerufen am 09.01.2025)

Nahrungsergänzungsmittel. Fast jede zweite Probe beanstandet. WDR Quarks, 20.04.2023 / 06.02.2024 (zuletzt abgerufen am 09.01.2025)

Präsentation der BVL-Jahrespressekonferenz "Lebensmittelsicherheit in Deutschland 2024", 05.12.2024 (zuletzt abgerufen am 09.01.2025)

Zoll-Jahresbericht 2023 (zuletzt abgerufen am 09.01.2025)

Positionspapier der Verbraucherzentralen und des vzbv vom 10.01.2025 (barrierefrei)

Nahrungsergänzungsmittel: Gesundheitsrisiken wenig bekannt. vzbv veröffentlicht repräsentative Befragung zu Nahrungsergänzungsmitteln. Pressemitteilung des vzbv vom 10.01.2025

Nahrungsergänzungmittel Tabellenband. forsa-Befragung im Auftrag des vzbv, Oktober 2024

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